Al Adiyat Santander




Aus der extrem trockenen drahtigen, ein wenig herben, unglaublich fruchtbaren Madkour I - Tochter Siracca, die ich das Glück hatte, als Jährling von ihrem Züchter Holger Ismer erwerben zu können, geplant als dauernde Partnerin für Inshass, wurde im Jahre 1994 mein Pferd geboren.
"Mein Pferd" !
Es gab viele vor ihm und es wird viele nach ihm geben, aber so, wie für uns alle, gibt es wohl nur ein einziges "once-in-a-lifetime-horse".
Er entschied im ersten Moment, kaum, dass er die Nase aus seiner Mutter gesteckt hatte, wo unser gemeinsamer Weg hingehen sollte.

Ausgestattet mit einem nahezu makellosen Exterieur und Fundament, mit fliegenden Bewegungen, einer unerhörten Harmonie in der Gesamterscheinung und einem Typ, der sich zwischen dem extremen Koheilan des Vaters und dem ausgeprägten Siglavi der Mutter einordnete, und vor allem dem sensiblen Wesen, gelang es ihm bereits als Fohlen, dem Vater den hohen Rang in meinem Herzen abzulaufen.
Santander war ein Katastrophenkind. Ständig lebte ich in der Sorge, es könne ihm etwas passieren, denn sein Schutzengel war ziemlich schlampig und erforderte häufig mein Eingreifen. "Sicherheitslücken im Haltungssystem" deckte niemand so sicher und deutlich auf, wie er. Ein schönes Beispiel war die Sache mit dem Haken.
Der Haken, eisern, etwa 15 cm lang, flach und rund, war an der eichenen Trennwand seiner Box an zwei ebenso runden Kettengliedern befestigt.
Daran hing seit mehreren Pferdegenerationen der Wassereimer.
Eines Nachts kam er auf die Idee, den Eimer abzumontieren, den Haken ins Maul zu nehmen und sich das stumpfe Ende allen Ernstes von innen nach aussen durch den Maulwinkel zu stechen.Er hing also sozusagen am Haken, das Maul bestenfalls 5 cm von der Trennwand entfernt, fest.
Sein Glück war der aufmerksam begeisterte Boxnachbar Eternity, der uns mit äusserst vergnügtem Gebrüll über den garnicht mehr weichenden Kollegen aus dem Bett kreischte.
Ich griff mir also den vor Schmerz und Schreck bereits klatschnass geschwitzen Hengst um die Hinterhand, ihn zu hindern, sich das Maul beim Zurückweichen auf ganzer Länge aufzureissen, während mein Mann mit dem Montiereisen die Eisenringe aus der Trennwand hebelte. Er hielt ganz still und stand, gottseidank, nach Sekunden mit der ganzen Konstruktion im Maulwinkel frei in der Box, liess sich, noch völlig unter Schock, das "Spezialpiercing" abnehmen. Der gestochene Kanal hatte die Länge von 15 Zentimetern.
Solche und ähnliche Geschichten reihen sich wie an einer Perlenschnur in seinem Leben.

Bereits in jungen Jahren wurde er zum erfolgreichen Schaupferd. Training bei Profis brauchte er dazu nicht, denn sein Junghengstleben fand in der Herde statt, mit gleichaltrigen Hengsten, dem Vater und bis zur Geschlechtsreife auch mit den tragenden Damen. Seine Kondition war also immer gleichmässig durchtrainiert, seine notwenigen Lektionen "how to do" lernte er zuhause.
Alle seine Handler, und die Liste ist lang und eindrucksvoll, stellte er vor die Herausforderung, ihn halten zu können.
Irgendwie muss er sie alle nicht besonders geschätzt haben. Denn er hatte nur allzu oft im Schauring die teure Idee, sich unerlaubt von der Hand zu entfernen um dann nach Strafzahlung am Ende seiner Klasse erneut antreten zu müssen.
Und "Antreten", das konnte und kann er. An seinen Bewegungsnoten kam kaum mal einer vorbei. Ich erinnere mich an eine lustige Begebenheit, als Scott zum Training übers Wochende kam. Gerade hatte er mühsam das Rauchen aufgegeben. Meinem Hinweis, Santander doch besser am Gebiss zu nehmen, bügelte er mit einer lässigen selbstbewussten Handbewegung ab. Ein paar Minuten später sass er, nach eindrucksvollen Flug, auf dem Hintern und bat um eine Zigarette.
Hengst zeigte derweil im Freilauf, was er so drauf hat. Mein Versuch, ihn dann doch, als es ganz ernst wurde, vor der VHS zum Trainer zu schicken, endete drei Wochen vor dieser Veranstaltung im ANC dann mit der Entscheidung, ihn schleunigst wieder nach Hause zu holen. Zwar gab er dort noch eine schöne Visitenkarte für die Hengsteintragung ab, ich hatte jedoch den ganz klaren Eindruck, dass er in der Fremde einging, wie ein Primelpott. So fuhr er heim und wurde wieder dem "ganz speziellen" Schautraining unterzogen. Ein Kumpel zum Toben,auf den grossen Wiesen, reichlich kleine Mahlzeiten, ein warmes Bett in der Nacht und viel Aufmerksamkeit und Pflege liessen ihn fix derart gedeihen, dass er sich anlässlich der VHS den Sieg bei den Zweijährigen, den Reservetitel der Junioren und die Anerkennung für alle Rassen holen konnte.

In den ersten Jahren seines Einsatzes als Zuchthengst fielen Fohlen, die sich prächtig platzieren , Siege und Championatstitel erringen konnten. Die Vorbereitung auf seine HLP, die er in Neustadt/Dosse ablegen sollte, verlief jedoch unglücklich.
Ob meines frischen Bandscheibenvorfalles traf ich die Entscheidung, ihn ganz sicher nicht selbst zu reiten, sondern denen die Sache zu überlassen, die "etwas davon verstehen". Die erste Station auf dem Wege zum leistungsgeprüften Hengst machte aus dem, sich herrlich bewegenden, Hengst ein Immenhofpony. Jeder Tritt ein Taktfehler, aufgerollt, sich in die Brust beissend, lud ich ihn also nach ein paar Monaten, die ich ihn im fernen Süden der Republik nicht gesehen hatte, auf, um ihn -die Zeit drängte bereits, nur noch zehn Wochen bis zur Prüfung- dem nächsten Reiter, auch dieser, wie die erste Wahl, ausgestattet mit allen Qualifikationen, zu übergeben. Zunächst liess sich die Sache nett an, bis zu dem Tag, als er sich beim Sprung über ein festes Geländehindernis schwer verletzte.
Ein hochstehender Ast hatte ihm die Muskulatur von der Brust bis zum Ellenbogen, quer unter dem rechten Vorderbein hindurch, aufgerissen. Er heilte zunächst gut, dennoch sagte ich der Leistungsprüfung vorerst Ade, zumal sich bereits nach wenigen Wochen zuhause wieder eine extreme Lahmheit der verletzten Seite einstellte, die monatelang blieb. Später, viel später fasste ich den Entschluss, den Versuch zu unternehmen, ihn selbst der Distanz-Leistungsprüfung zu unterziehen.
Der erste vorbereitende kleine Ritt endete im Fiasko.
Er lief wunderbar bis ins Gate um dort auf eine lange Reihe Pferde an der Hand zu treffen, die brav auf ihre Veterinärkotrolle warteten. Pferde ohne Reiter?
Ganz klar, Vorring!
Schweif hoch und gib, was Du kannst!
Ein kleiner Irrtum, mein Bester, wir sind hier nicht im Schauring!
Kurz und gut, der Vet nahm ihn raus, denn sein Puls wollte sich einfach nicht beruhigen. Verhältnismässig frustriert erreichte ich mit dem Pferd auf dem Hänger wieder den Startplatz. Es muss ihm unangenehm gewesen sein, diese erste Distanzerfahrung und fortan pflegte er beim Nähern eines Distanztierarztes zur Salzsäule zu erstarren und sich ohne Mucken untersuchen zu lassen. Den nächsten Ritt gewann er souverän und in unerhörter Gelassenheit. Aus der Wertung fiel er nie wieder.
Binnen 15 Monaten legte er seine HLP Distanz mit mir im Sattel ab. Ich gehöre ganz sicher nicht zu denen, die mit dem Plan zur Welt gekommen sind, sich lässig und locker hunderte von Kilometern am Stück auf einem Pferd fortbewegen zu wollen. Mit zwei, drei Stündchen bin ich durchaus zufrieden zu stellen und pflege mich der modernen Fortbewegungsmittel gern zu bedienen, um weite Strecken zurückzulegen. Jeder lange Ritt mit diesem hochambitionierten Pferd war also insbesondere für den Reiter eine Herausforderung und überschritt durchaus, je länger es wurde, die Grenzen dessen, was ich eigentlich zu leisten in der Lage bin. Dennoch ist jeder Kilometer eingebrannt als besondere und besonders wunderbare Erfahrung. Das, was er an spektakulärer Aktion im Schauring in der Lage war zu zeigen, kann er umsetzen in unglaublich bequem zu sitzende Bewegungen, die sich anfühlen, als flöge man. Nein, ich habe niemals ein besseres Pferd geritten und ich habe ihn niemals mehr einem anderen Reiter gegeben!

Santanders Karriere erfuhr eine abrupte Vollbremsung durch sehr persönliche Umstände. Was hätte nicht alles noch aus ihm werden können!
Alle Weichen waren aufs Beste gestellt für einen Zug der letztlich niemals ankam.

Was bleibt, ist eine grosse Liebe zu einem grossartigen Pferd.
Dankbar für jeden gemeinsamen Tag wünsche ich mir noch etwas Zeit!