Al Adiyat Satellite



*30.05.2010


Sieben lange Jahre hatte es keine Fohlen mehr gegeben.
Das Schicksal hatte es so gewollt, dass auf der kleinen blühenden Zuchtstätte Grabesstille geherrscht hatte.
Kein Fohlenwiehern mehr, keine Nachtwachen, keine freudigen Erwartungen.
Nur noch die alten Hengste, zwei gelassene Stuten, ein bisschen Reiterei, gedämpft die Stimmung, keine züchterischen Zukunftserwartungen mehr.
Es sollte sich ändern und das war gut so!

Es hat nicht unbedingt mit der Zucht arabischer Pferde zu tun, aber wir vertrieben uns in dieser Nacht zum 30. Mai die Fohlenwache-Wartezeit mit dem Eurovision-Song-Contest.
Lena hatte gerade, erstmals seit endloser Zeit, in der Deutschland keinen Fuss mehr an die Erde bekommen hatte, in diesem Ländervergleich, einen vielbeachteten Sieg errungen als Mutter Sympatica nach sechs übertragenen Wochen endlich Ernst zu machen begann.

Mir war verdammt mulmig, denn ich war im wahren Wortsinne ausser Übung was die Geburtshilfe anging, die mir früher wie das Brezelbacken leicht von der Hand ging.
Insofern ist es vermutlich verständlich, das mir beinahe das Herz stehen blieb, als ich den Ernst der Fehllage des lang ersehnten Fohlens auf dem Rücken erkannte.
Wir hatten das Glück, dass unsere Veterinärpraxis kürzlich eine junge Tierärztin engagiert hatte, die zuvor jahrelang in der Reproduktionsmedizin an der TiHo Leipzig Dienst getan hatte.
Nur ihrem beherzten professionellen Eingreifen ist es zu verdanken, dass es gelang, gemeinsam das winzige Fohlen im Geburtskanal zu drehen und heile zu entwickeln.
Ihre Vermutung, es mit einer unreifen Frühgeburt zu tun zu haben, revidierte sie nach kurzer Untersuchung und dem ungemein munteren Eindruck den das frisch geschlüpfte Hengstlein machte.

Es ist üblich bei uns, Neugeborene sofort zu taufen.
Ein Fohlen aus zwei "S"-Eltern, eines das gerade mächtig gekreist war, ein Siegertitel...
Natürlich:
Al Adiyat Satellite!
Da war es wieder, das Fohlenwiehern!
Ein Hengstchen zumal!
Es war nicht einfach eine Fohlengeburt, denn dieses erste Wiehern brachte mich ganz persönlich wieder zurück an die Oberfläche des Lebens.

Dem etwas spärlichen Milchfluss auf die Füsse zu helfen, gönnte der Veterinär der "jungen" Mutter noch eine Oxytocin-Gabe.
Eine ebenso wirkungsvolle wie ganz besonderen "Erfolg" zeitigende Medikation!
Mutter Sympatica schäumte geradezu über vor Sorge um ihren Erstgeborenen und verstand den Auftrag während der ersten paar Tage etwas übertrieben falsch, Fohlen müssen saufen, toben, schlafen!
Die Sache mit dem Schlaf sah die überbesorgte Stute nicht so und schon überhaupt nicht ein und weigerte sich vehement, ihren vom Spielen und Saugen ermatteten Sohn auch ruhen zu lassen.
Kaum legte er sich, kratzte sie ihn empört wieder hoch.
Für uns bedeutete das noch einmal eine dauernde Wachphase in der wir penibel darauf achteten, den Kleinen zum Schlafen unter die Rotlichtlampe abzulegen, die Mutter zeitgleich liebevoll aber deutlich in ihre Schranken zu weisen und am Futterplatz in der Abfohlbox ausser Reichweite des Fohlens anzubinden um ihm die nötigen Schlafphasen zu ermöglichen. Sofort, wenn der junge Herr aufzustehen trachtete, wurde die Stute wieder losgemacht.

Nach kaum einer Woche war auch diese Schwierigkeit Geschichte und unser Versicherungsmann konnte kommen, den Knaben aufzunehmen.
Etwas zweifelnd war der Blick des altgedienten ehemaligen Gestüters schon, als er das schlafende winzige Fohlen in der Box betrachtete.
Das änderte sich allerdings schnell als er erstmal ein bissl Zeit damit verbracht hatte, zu versuchen, den kleinen Kerl, der sich mit übergeschlagenem Schweif draussen im Stolztrabe aufs Beste präsentierte, mit mir wieder einzufangen.
Es dauerte ein bissl mehr Zeit...
Bald schon bekam Satellite einen sehr besonderen Spielgefährten.
Inshass hatte mir immer die Fohlen gehütet und alle jungen Hengste aufgezogen.
In Ermangelung eines Gleichaltrigen, den ich ihm erst später zugesellen konnte, erprobte er seine Kräfte im wilden Spiel und Gerenne mit seinem gutmütigen Grossvater.
Beiden tat diese Allianz ungemein gut.
Sie endete erst, als eines Nachmittags Satellite, anderthalb-jährig, plötzlich schwer zu koliken begann.
Der Blick des untersuchenden Tierarztes war ernst, eine sofortige Einweisung in die tierärztliche Hochschule Hannover brachte den jungen Hengst binnen kürzester Zeit auf den OP-Tisch.
Eine unendlich lange, kalte Januarnacht verbrachten wir in der totenstillen TiHo, das Handy in der Hand, auf Nachricht aus dem OP wartend, bis wir morgens um sieben Uhr vom Operateur zu ihm auf die Intensivstation gerufen wurden.
Man hatte am Darm nicht schneiden müssen, befand den Zustand für, den Umständen entsprechend, gut.
Ich fand ihn grauenhaft!
Unsere täglichen Besuche taten ihm nicht wirklich gut. Immer, wenn wir wieder gehen sollten, begann er zu schreien, tobte, kratzte, wollte uns nicht mehr fort lassen.
Eine Wundheilungsstörung verlängerte seinen Aufenthalt und als wir ihn endlich heim holen durften, standen uns noch drei Monate langsamen, sehr langsamen Wiederaufbaues bevor.
Die Veterinäre hatten uns gewarnt.
Er würde zunächst für mindestens ein halbes Jahr sein Wachstum einstellen.
Gerade hatte er sich einigermassen dem Normalmass seiner Jahrgangsgefährten angenähert, schon gab es diesen massiven Einbruch dessen Ursache übrigens unerklärlich blieb.

Kaum vollständig genesen, bereit für neue Hengstspiele, starb Inshass.
Satellite hat jedes Detail der vielfältigen Mimik seines Grossvaters übernommen.
Inshass ist immer der Komiker und Charmeur in der Familie gewesen. Sein Enkel steht ihm nicht nach.
Es ist nicht nur das Interieur, das ihn uns als "Abziehbild" erscheinen lässt.
Die Gesamterscheinung, der harmonische ausgewogene Körperbau, der hoch aufgesetzte Hals, die Geschlossenheit und Mordshinterhand, das besonders breite kräftige Sprunggelenk, die kurzen Röhren, der phänomenale Schritt und erhabene Trab, die breite Stirn mit den grossen schwarzen Augen....

Er wird seine verlorene Zeit aufholen....nur Geduld.
Seine Bedeutung, seinen Platz in unserem Leben hat er sicher.